Betroffene

 

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Katharine 

Ich bin 42 Jahre alt, verheiratet und habe 3 Kinder. Ich bin Grundschullehrerin und bin in der Ausbildung zur Systemischen Beratung (lösungsorientierte Beratung). 2017 erlitt ich einen Schlaganfall mit der Folge, dass ich nicht mehr sprechen konnte – ich hatte die Sprache verloren (Aphasie). Mein Mann, meine Kinder und vor allem herausragende Therapeuten haben mir geholfen, die Sprache wiederzufinden. 2019 konnte ich in den Schuldienst zurückkehren als Lehrerin für DaZ (Deutsch als Zweitsprache).

Im Rahmen meiner Ausbildung zur Systemischen Beratung möchte ich vor allem von Aphasie Betroffenen – Patienten und ihre Angehörige – ehrenamtlich helfen mit der Erkrankung umzugehen.


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Nils

Am Muttertag 2020 habe ich einen Schlaganfall erlitten.

Ich hatte den Wecker auf 10 Uhr gestellt, weil ich für meine Mutter Frühstück machen wollte.

Der Wecker hat mich geweckt und ich wollte mir die Trainingshose anziehen. Als ich die Hose anzog, kippte ich um. Ich dachte, ich wäre vielleicht noch betrunken, weil ich am Vortag mit meinen Freunden viel Bier getrunken hatte. An einen Schlaganfall habe ich nicht gedacht. Warum auch? Ich bin jung, 24 Jahre alt, sportlich und gesund!

„Ich muss was essen“, dachte ich und ging in die Küche. Aber essen konnte ich nicht, weil ich alles, was ich in die rechte Hand nahm, fallen lies. Dabei ging ein Teller zu Bruch und ich verschüttete Orangensaft.

„Boa, habe ich einen Kater“, dachte ich und ging wieder schlafen. Danach würde es besser gehen, dachte ich.

Meine Mutter weckte mich und fragte: warum ich die Sauerei in der Küche nicht weggemacht habe. Ich konnte nicht antworten.

Sie sagte: „Trink was!“, und reichte mir eine Wasserflasche. Als ich trank, floss ein bisschen Wasser aus meinem rechten Mundwinkel. Dann sagte sie: „Ich rufe den Krankenwagen.“ Dann verlies sie mein Zimmer. Aber ich hörte was sie am Telefon sagte: „Mein Sohn hat einen Schlaganfall.“ Jetzt hatte ich es auch begriffen.

Fünf Minuten später waren drei Sanitäter in meinem Zimmer. Ich vertraute dem Team und dachte: „Ich muss einfach nur da sein. Machen brauche ich nichts!“

Sie fuhren mich ins Krankenhaus. Dann kam die Narkose.

Wann ich wieder aufgewacht bin, weiß ich gar nicht mehr. Montag oder Dienstag. Auf der Intensivstation war ich fünf Tage und habe meistens nur geschlafen. Sprechen konnte ich nicht. Elf Tage war ich im Krankenhaus und bin dann in die Reha gekommen. Aber wegen Corana war ich da nur sechs Tage. Dort habe ich keine Therapie erhalten und deshalb bin ich nach Hause gegangen. Meine Eltern und ich haben entschieden die Therapien ambulant zu machen.

Logopädie, Physio und Ergotherapie habe ich begonnen. Mein Hauptziel war die Sprache. Die wollte ich wieder bekommen. Als ich das erste mal in die Logopädiepraxis kam, konnte ich nur zwei Wörter sprechen. „Allein“ und „okay“. Jetzt, im Januar 2021, nach acht Monaten Therapie, kann man mich sehr gut verstehen.

Das liegt zum einen an den guten Therapeuten in der Praxis und an der Intensivtherapie mit täglichen Doppelbehandlungen, die ich zu Beginn meiner Erkrankung in der Praxis erhielt. Das intensive Training hat mir sehr geholfen.

Und auch der Austausch mit Tine, einer Betroffenen, die meine Eltern und mich beraten hat, hat mir geholfen und Mut gemacht. Und auch meinen Eltern hat sie Mut gemacht.

Heute fühlt sich mein Leben fast wieder normal an. Ich gehe joggen, spiele Fußball im Verein, kann recht gut sprechen und schreiben und ich kann wieder Auto fahren.

Jetzt traue ich mir zu ein Praktikum, in meiner alten Firma als Elektriker, zu machen. Ich plane im Herbst die Meisterschule fortzusetzen.

Der Heilungsprozess begeistert mich.

Der Körper erholt sich.

Ich bleibe zuversichtlich.


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Rüdiger 

Der Schlaganfall

Es ist drei Jahre und vier Monate her, dass ich den Schlaganfall bekam. Das war im Dezember 2016. Es war ein Samstag. Meine Frau hatte das Radio eingeschaltet. Fidel Castro war tot, aber ich setzte mich nicht auf.

“Es war seltsam“, sagte meine Frau. „Du warst nicht ansprechbar.“

„Mein Kopf! Oh, mein Kopf!“ Ich wollte etwas sagen, aber es klappte nicht. Es war gruselig. Zwei Sanitäter, ein Rollbett, eine Ehefrau, die mit Tränen kämpfte und ich konnte nichts hören. Im Krankenwagen war ein lichter Moment – aber dann war es dunkel.

Das Licht war hell. Das Zimmer war ein Krankenhaus. Mein rechtes Bein und mein rechter Arm waren taub. Und meine Sprache war futsch, niente, knockout! Nie wieder könnte ich schreiben, nie wieder könnte ich lesen, meine Stimme war tot. „Ja“, Nein“, „Auto“ das war es.

Aber dann wurde mir klar, das war es noch nicht. Meine Ehefrau, meine Familie, meine Freunde – das war, was zählte. Ich gab nicht auf. Nach drei Wochen im Rollstuhl stand ich auf und ging ein paar Schritte zum Bad. Meine Sprachtherapeutin, Uli Dörr, kam ins Krankenhaus und sie gab mir so viel Kraft. Jeder Tag brachte ein neues Kapitel.


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Poornima 

Als ich 1988 nach Köln kam, erwartete mich eine neue Ära. Aufgewachsen bin ich in Sri Lanka und lebe jetzt über 30 Jahre hier in Köln.

Nach meinem Abitur 2004 studierte ich Afrikanistik, Englisch und Geographie an der Universität zu Köln. Ich absolvierte den Studiengang Magister. Nach meinem Magister 2011 wollte ich eigentlich nach Afrika fliegen, um dort ein Praktikum auf Englisch zu machen. Danach wollte ich vor Ort arbeiten. 6 Tage nach meinem Magister erlitt ich einen schweren Schlaganfall (Mediainfakt) und war plötzlich „sprachlos“. Auf einmal konnte ich nicht gehen, kein Wort sprechen und war auf den Rollstuhl angewiesen. Meine Aphasie war sehr schwer. Nach 5 Jahren Therapie (Logopädie, Krankengymnastik, Ergo, Hirnleistungstraining) habe ich 2016 ein neues Praktikum in der Universität bekommen.

Nach meinen praktischen Erfahrungen habe ich 2018 begonnen bei der Alexianer Werkstatt zu arbeiten. Dort habe ich auch Therapie und die Kolleginnen sind sehr nett.

Ich wusste, dass ich wieder in fremde Länder reisen durfte und ich bin darüber sehr froh.

Ich flog in verschiede Länder, wie zum Beispiel Thailand, Mauritius und auch nach Süd Afrika. Eine Reise ging nach Kapstadt. Letztes Jahr (2019) reiste ich mit meinem Bruder K. und meiner Mutter A. dort hin. Hier ein Reisebericht von mir und meiner Logopädin E.:

 Kapstadt Poornima

 


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Michael

Es passierte in der Silvesternacht 2013. Das Feuerwerk war gerade vorbei und ich verfolgte mit meiner Lebensgefährtin das Neujahrsprogramm im Fernsehen, als ich plötzlich zusammensackte. Es gab keine Vorboten, weder Kopfschmerzen noch Übelkeit, ich erinnere mich an nichts. Der Rettungswagen kam und brachte mich in ein Krankenhaus. Ich lag drei Wochen im künstlichen Koma. Nach drei Monaten wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Ich kam in die Reha und nach weiteren drei Wochen wurde ich nach Hause entlassen. Ich konnte wieder laufen aber mein rechter Arm blieb gelähmt und die Sprache war weg. Die Therapeuten kamen zu mir nach Hause, es ging langsam Berg auf aber mit fehlte eine Aufgabe. Ich bin gelernter Kaufmann, aber diese Arbeit konnte ich nicht mehr ausüben. 2015 hatte ich das große Glück in einer Werkstatt für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen zu bekommen. Ich entschied mich für die Schreinerei und lernte mit einer Hand die Stichsäge zu bedienen. Dass dies einmal meine neue Leidenschaft werden könnte, hätte ich damals nicht gedacht. Die Freude an der handwerklichen Arbeit ist geblieben und mit ihr eine neue Lebensaufgabe.

(Diese Zeilen verfasste ich zusammen mit meiner Sprachtherapeutin, denn schreiben kann ich seit meinem Schlaganfall nicht mehr.)


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Patrick

Es war an einem grauen Novembertag 2015. Ich fuhr mit meinem Passat auf der Landstraße. Eigentlich wollte ich ins Schwimmbad, aber es war geschlossen. Die Landstraße war leer. Rechts und links waren Felder. Die Straße führte bergab. Hinter einer Kurve kam ich von der Straße ab. Ich raste ungebremst gegen den einzigen Baum weit und breit. Filmriss…

Ein Hubschrauber flog mich nach Gießen in die Uniklinik, erzählte mir meine Mutter später. Ich konnte kein Wort sprechen und meine rechte Körperseite war gelähmt. Es folgten sechs Monate Klinik und Reha. Meine Tage bestanden aus Logopädie, Physio- und Ergotherapie. Wichtig waren in dieser Zeit meine Freunde und Familie, vor allem meine Mutter. Nach der Reha kehrte ich zurück in meine WG nach Köln. Ich war viel alleine. Erinnerungen begleiteten mich. Ich war oft traurig. Meine Freunde arbeiteten alle und ich langweilte mich zu Tode. Vor meinem Unfall habe ich Psychologie studiert in Münster und Bielefeld und mit dem Master abgeschlossen.

Ich hatte eine Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten begonnen. Ich hatte keine Ahnung wie es weiter gehen könnte. Meine Mutter unterstützte mich Arbeit zu finden. Ich kam zur beruflichen Wiedereingliederung in eine Werkstatt für Menschen mit erworbener Hirnschädigung. Ich begann im EDV-Büro. Die Arbeit war für mich als Psychologen einfach, aber ich war froh wieder unter Menschen zu sein. Schnell schloss ich neue Freundschaften. Ich war der Sprache nicht mehr mächtig. Welch ein Verlust.

Jeden Tag gehe ich zur Logopädie und jeden Tag wird es besser. Mein Leben fühlt sich anders an, aber jetzt ist es für mich auch normal. Meine Freundschaften haben gehalten, besonders wichtig ist Flo, mein bester Freund. Früher bin ich immer viel gereist, aber auch heute reise ich noch gerne. Nicht nur in ferne Länder, sondern auch durch Europa.

Ich mag Schwimmen und Fitness und Festivals und treffe mich oft mit meinen Freunden.


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Margarete 

„Liebe Leserin, lieber Leser,
Aphasie – Störung der Sprache. Nein, trotz der Aphasie kann das Leben auch schön sein. Aber auch traurig, deprimierend, zornig und wütend. Ich möchte Dich einladen auf die Reise in mein Leben. …“
Weiterlesen in meinem Blog


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Gerriet 
Dipl. Physiker

Ereignis (Was ist passiert?):
Ich habe 2007 einen Schlaganfall bekommen. Mir ist der Schädelknochen für 3 Monate geöffnet worden. Die ersten 5 Monate bin ich mit dem Rollstuhl gefahren, weil die rechte Körperseite gelähmt war. Insgesamt war ich 7 Monate in der Reha. Meine Sprache war massiv gestört. Ich hatte eine schwere Wernicke Aphasie. Ich konnte zwar reden, aber ich habe Unsinn erzählt. Das Schreiben mit der rechten Hand fiel aus, weil der Arm starr war. Ich musste üben, mit der linken Hand zu schreiben. Das Schreiben fiel mir sehr schwer. Ich konnte nur einzelne Worte schreiben. Lesen konnte ich einzelne Worte und kurze Sätze. Die Uhrzeiten und die Mathematik konnte ich benutzen und gut verstehen.

Heutiger Stand:
Körperlich gesehen ist meine rechte Seite (Arm und Bein) wieder sehr gut. Ich kann normal gehen, Fahrrad fahren und die rechte Hand wie die linke benutzen.
Sprachlich gesehen gehe ich zweimal die Woche zur Sprachtherapie. Die Wernicke Aphasie hat sich schon nach 1 Jahr zurück entwickelt. Jetzt sind Verben, Präpositionen und freies Formulieren weiter problematisch. Dabei werden die sprachlichen Schwierigkeiten im Verlauf des Tages stärker, wenn auch die Müdigkeit zunimmt.

Familie:
Meine Erkrankung war ein großer Schock für die ganze Familie. Alle sind froh, dass ich den Schlaganfall überlebt habe. Trotz des Schlaganfalls sind wir eine glückliche Familie geblieben. Einerseits hat sich unser Familienleben kaum geändert. Wir gehen gemeinsam ins Kino, fahren in Urlaub und machen andere Dinge gemeinsam. Andererseits zeigen sich die sprachlichen Schwierigkeiten aber auch jeden Tag in unserem Familienleben. Wir missverstehen uns manchmal gegenseitig. Alle brauchen viel Geduld. Meine Frau und meine Kinder, aber auch ich, wie meine Familie sagt, gehen aber insgesamt sehr gut damit um. Meine Frau besonders und meine Kinder sind mir sehr wichtig. Meine Frau arbeitet seit meiner Erkrankung fast Vollzeit und ich betreue nachmittags unsere Tochter.

Beruf:
Nach dem Schlaganfall konnte ich 17 Monate nicht arbeiten. Mein Chef und meine Kollegen haben mich in dieser Zeit regelmäßig besucht. Im November 2008 habe ich wieder angefangen mit 10 Stunden pro Woche zu arbeiten. Vorher hatte ich 36 Stunden pro Woche. Damals habe ich hauptsächlich Projekte selbstständig bearbeitet. Heute kümmere ich mich um Teilbereiche. Meine Aufgaben sind inhaltlich vergleichbar geblieben. Ich konstruiere Hardware-Design. Meine mathematischen und physikalischen Kenntnisse kann ich gut einsetzen. Schwierig waren und sind seit der Erkrankung z. B. das Lesen von Fachliteratur, das Einsetzen von Tools oder der fachliche Austausch mit meinen Kollegen. Trotzdem haben die Kollegen keine ablehnende Haltung mir gegenüber. Weiterhin besteht ein guter Zusammenhalt und ich bin ins Team integriert. Wir sitzen in einem gemeinsamen Büro. Es gibt häufig Gespräche und Unterstützung. Wenn Probleme bestehen, die für mich sprachlich eine große Herausforderung bedeuten, nehmen sich die Kollegen meistens die Zeit mich zu unterstützen. Der Schlaganfall hat mein Berufsleben erheblich geändert. Ich bin aber froh, weiter als Dipl. Physiker tätig sein zu können.


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Friederike 
(Spitzname: Freddy)

„Ich will eine Selbsthilfegruppe für junge Aphasiker gründen und Pläne für die Zukunft schmieden.“

Mein Name ist Freddy Seibt. Ich bin am 13.06.1981 geboren und wohne in Bonn. Am 28.02.2004 erlitt ich eine Hirnblutung. Ursache war ein geplatztes Aneurysma.

Ich hatte schon den ganzen Tag über Kopfschmerzen gehabt. Abends bin ich dann mit einer Freundin in die Disco gegangen. Da passierte es dann. Ich bekam wahnsinnige Kopfschmerzen und sagte meiner Freundin, dass irgendetwas nicht stimme. Ich setzte mich auf den Boden und schon kurze Zeit später war ich nicht mehr in der Lage aufzustehen. Meine Freundin holte Hilfe und man trug mich aus der Diskothek. Wenig später traf der Krankenwagen ein und dann verlor ich das Bewusstsein.

Im Nordwest-Krankenhaus Sanderbusch wurde ich dann notfallmäßig operiert. Die OP dauerte fast die ganze Nacht. Aber daran habe ich keine Erinnerung.

Nach der OP blieb ich intubiert und wurde fast drei Wochen beatmet. Nach 5 Wochen Koma wurde ich wieder wach. Aber ich konnte nicht sprechen und hatte eine Halbseitenlähmung rechts. Glücklicherweise zeigten sich bereits nach ein paar Tagen erste Besserungen. Das machte mir Mut.

Heute ist mein Sprechen recht gut. Manchmal fehlen mir noch Wörter und ich verstehe nicht immer alles. Große Probleme habe ich immer noch beim Schreiben und Lesen und im Umgang mit Zahlen. Auch Konzentration und Merkfähigkeit sind noch ein Problem. Regelmäßig gehe ich zur Logopädie, Ergotherapie und demnächst auch zur ambulanten Neuropsychologie.

Damals, als ich die Hirnblutung erlitt, stand ich kurz vor der Aufnahme bei der Bundeswehr. Eine Berufsausbildung konnte ich seither nicht absolvieren. Heute ist es mein größter Wunsch einer regelmäßigen Arbeit nachzugehen, die mich fordert, aber nicht überfordert. Ich habe gerne mit Menschen zu tun, deshalb würde ich gerne einer entsprechenden Tätigkeit nachgehen. Zur Zeit bin ich zur beruflichen Wiedereingliederung in einer Werkstatt für Menschen mit erworbener Hirnschädigung in Köln-Rodenkirchen.

Meine Hobbys sind: Reiten (allerdings nicht mehr aktiv) und Reisen. Eine Reise nach Amerika zu meinem Bruder fände ich cool. Lesen liebe ich trotz meiner Schwierigkeiten immer noch sehr. Fitnesssport begeistert mich auch heute. Seit dem ich wieder regelmäßig zum Sport gehe, spüre ich einen Anstieg meiner Energie. Das macht mich sehr glücklich.

Lange Zeit habe ich mich wegen meiner Sprachstörung zurückgezogen. Daher habe ich nicht mehr so viele Freunde.

2016 habe ich mit Unterstützung meiner Logopädin eine Selbsthilfegruppe für junge Menschen mit Aphasie gegründet. Gemeinsam etwas unternehmen und Pläne für die Zukunft schmieden. Das macht mir viel Spaß.


Angehörige

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Renate 

Am 10. Mai 2020 erlitt unser Sohn Nils einen Schlaganfall. Das Blutgerinnsel wurde mit einem Katheter aus dem Gehirn entfernt. Wir waren sehr erleichtert, dass das gelungen war. Nun begannen bange Tage, denn es blieb abzuwarten, ob das Gehirn nach dem Eingriff anschwellen würde. Auch da hatte er großes Glück.

Nils hatte eine rechtsseitige Lähmung und eine schwere Aphasie. Wegen der Corona-Pandemie durfte nur eine Person täglich für 60 Minuten zu ihm in die Klinik. Das war für uns extrem schwer auszuhalten. Mein Mann und ich wechselten uns ab und jeden Tag, wenn der eine von uns aus der Klinik kam, stürzte der andere auf ihn zu und wir freuten uns gemeinsam wie Kinder über die großen Fortschritte, die Nils täglich machte. Schon nach einer Woche konnte er wieder selbstständig gehen, ohne Hilfsmittel, und seine rechte Hand bewegen. Das war wie ein Wunder. Das Sprechen machte ihm große Probleme, dennoch blieb er extrem geduldig und humorvoll. Wenn er mir etwas sagen wollte und ich durch ja /nein-Fragen einzukreisen versuchte was er meinen könnte, brach er öfter in großes Gelächter aus, weil ich so extrem daneben lag. Wir bewunderten ihn für seine Ruhe und seinen Humor in dieser heftigen Situation.

Als er die Klinik und sechs Tage später auch die Rehaklinik (mangels Therapie) verlassen hatte und Nils mit der ambulanten Therapie begann, ging es richtig bergauf. Besonders durch die logopädische Praxis, das extrem kompetente und verständnisvolle Team, fühlten wir uns sehr gut unterstützt. Das war besonders wertvoll in dieser Zeit, weil wir auf die Beratung dort vollkommen vertrauen konnten. Das gab uns Sicherheit und Zuversicht und ein großer Druck fiel von uns ab.

Nils ging während der ganzen Zeit sehr offensiv mit seiner Aphasie um. Auch als er erst wenige Worte sprechen konnte, ging er zu einem Grillfest seiner Fußballmannschaft und nahm z.B. Geburtstagseinladungen an, traf Freunde usw.. Wir freuten uns sehr, dass er sich nicht zurückzog, andererseits fiel es uns schwer, ihn loszulassen.

Heute ist Nils praktisch wieder so selbstständig wie vor seinem Schlaganfall. Beim Sprechen muss er sich sehr konzentrieren und es geht noch etwas langsamer, aber auch jetzt, 8 Monate nach seinem Schlaganfall, bemerken wir immer wieder deutliche Fortschritte. Großartig ist, dass er seine „Schwächen“ nicht versteckt, sondern dazu stehen kann. Diese Stärke bewundern wir.


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Ariane 

Dreieinhalb Jahre ist es jetzt her. An dem Morgen poppte die Nachricht auf meinem Handy auf, dass Fidel Castro in der Nacht gestorben ist. Als ich das meinem Mann neben mir im Bett mitteilte, schlief er einfach weiter. Da habe ich mich zum ersten Mal gewundert. Normalerweise hätte er sich im Bett aufgesetzt und sofort auf seinem Handy nachgelesen. Er ist wie ich Journalist. Da mein Mann gerade in seinem Job wahnsinnigen Stress hatte, dachte ich, der Arme braucht einfach mal mehr Schlaf und Ruhe und ließ ihn weiterdösen. Es war ein Samstag, der 26.November 2016. Gegen 10 Uhr sagte ich dann doch, jetzt lass uns aufstehen, frühstücken. Ich stand an der Kaffeemaschine in der Küche, als mein Mann dann aus dem Schlafzimmer unterm Dach runterkam. Ich habe heute noch seine Worte im Ohr, als er sagte:“ Was ist in meinem Kopf los? Was ist da los?“ und nervös und beunruhigt auf und ab ging und sich an den Kopf fasste. Er wollte sich nicht setzen, nichts trinken. Als ich ihn aufforderte, mir zu beschreiben, wie sich sein Kopf anfühlt, habe ich sofort gemerkt, dass Rüdiger die Worte fehlten, er sie nicht fand. Sofort habe ich gesagt, Du hattest vielleicht einen Schlaganfall und die Feuerwehr angerufen, obwohl mein Mann abwinkte und meinte ich solle damit noch warten. Der Beamte fragte, was die Symptome seien und ob er das schon öfter mal hatte. Als ich das verneinte, schickte er sofort einen Notarztwagen. Rüdiger ist noch selber in den Krankenwagen gestiegen, ich dachte, alles wird gut, die Rettung ist da, alles richtig gemacht, wird schon. Die nächste Stroke Unit im Bonner LVR Krankenhaus ist nur 5 Fahrminuten von uns entfernt. Rüdiger in‘s MRT. Die Diagnose nach wenigen Minuten: Ihr Mann hatte einen schweren Schlaganfall links, da wo das Sprachzentrum sitzt und da wir nicht wissen, wann genau es passiert ist, ist es zu gefährlich, zu versuchen, den Pfropf zu lösen. Das könnte alles noch schlimmer machen und zu Hirnblutungen führen.
Unsere Zwei Kinder, 17 und 21 Jahre alt, sind sofort gekommen, unter Tränen, ich habe versucht sie zu beruhigen, dass Rüdiger nicht sterben wird, dass wir in guten Händen sind. Am nächsten Morgen rief mich der leitende Arzt an und teilte mir mit, dass Rüdiger einen zweiten Schlaganfall hatte, das sei nicht ungewöhnlich. Er sagte mir auch, dass auf uns eine schwere Zeit zukommt. Ich weiß noch, dass ich diese Aussage dem Arzt fast übelgenommen habe, wie kann er sowas sagen, wir schaffen das schon, mein Mann ist ein Kämpfer und wir sind beide ziemliche Optimisten. Die nächsten Wochen und Monate waren hart: mein Mann hatte die Sprache fast komplett verloren, konnte nicht alleine aus dem Bett, nicht laufen, alles nur mit Hilfe und im Rollstuhl. Die Reha beginnt ja wirklich sofort und das macht einem dann auch immer wieder Hoffnung. Ein Vierteljahr war Rüdiger stationär untergebracht, ich habe ihn jeden Tag nach der Arbeit besucht, für Angehörige gibt es in dieser Zeit soviel zu regeln.

Die ersten zwei Jahre haben wir ein wenig im Ausnahmezustand gelebt, eben, weil es soviel zu regeln, zu bedenken gibt. Heute läuft unser Familienleben wieder in ruhigeren und normalen Bahnen. Mein Mann ist aktiv und selbstständig und kommt im Alltag alleine klar. Das ist wichtig, weil ich jetzt Vollzeit arbeite. Rüdiger arbeitet im Garten und rund um’s Haus. Ein halbes Jahr nach dem Schlaganfall haben wir für Rüdiger ein EBike gekauft mit tiefem Einstieg, heute fährt er meistens mit einem normalen Rad, mit dem er sehr viel unterwegs ist und sich fit hält. Die Sprache wieder zu erlernen, das ist die größte Herausforderung, aber auch die nehmen wir an.    


Helene, 12 Jahre alt, Tochter von Katharine

Vor drei Jahren an einem Dienstagmorgen, saßen wir am Frühstückstisch und hörten den Wecker ungewohnt lange klingeln. Irgendwann ging mein Vater hinunter und fand meine Mutter mit dem Wecker in der Hand. Währenddessen beeilte ich mich, mich fertig zu machen. Allerdings hörte ich meinen Vater den Notarzt rufen und schnappte Wörter wie „stabil“ und „nicht ansprechbar“ auf. Er sagte ich solle mir keine Sorgen machen und in die Schule fahren während er meinen Bruder anwies dem Notarzt die Tür zu öffnen. Als ich bei der Garage war hörte ich die Sirenen und kurz darauf kam der Krankenwagen um die Ecke. Ich beeilte mich in die Schule zukommen mit einem ungutem Gefühl im Bauch. Vor dem Unterricht konnte ich die Unwissenheit kaum aushalten, zumal ich auch noch nicht wusste was überhaupt geschehen war. In der ersten Pause rief ich meinen Vater an. Er erzählte mir, dass es ein Schlaganfall war und dass sie nicht mehr sprechen könne. Nach der Schule fuhr ich nach Hause. Noch am selben Tag fuhren wir ins Krankenhaus. Als ich meine Mutter das erste mal sah erschrak ich, weil überall Schläuche an ihr befestigt waren.

Sie blieb eine Woche im Krankenhaus. Danach wurde sie in eine Rehaklinik verlegt. Im Anschluß an diese Behandlung konnte sie ins Krankenhaus nach Aachen für eine intensivere Sprachtherapie wechseln. Das bedeutete, dass sie nur noch an den Wochenenden nach Hause kommen konnte. Nach ihrer Zeit in Aachen hatten wir das Schlimmste überstanden, denn sie konnte wieder einigermaßen sprechen und war von da an viel mehr Zuhause. Ich hatte das große Glück, dass ich viele Menschen hatte die mich trösteten und mir bei vielem halfen, sowohl meine Familie als auch meine Freundinnen.